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Wissen | Wüstung

Wüstung

Als Wüstung bezeichnet man eine Siedlung, die in der Vergangenheit aufgegeben wurde, aber an deren Existenz noch Flurnamen, Baureste im Boden oder mündliche Überlieferungen erinnern. Nicht unter den klassischen Begriff Wüstung fallen im wissenschaftlichen Sprachgebrauch aufgelassene Burgen und ehemalige Klöster sowie antike Siedlungsplätze. In Deutschland waren besonders im Spätmittelalter und nach dem Dreißigjährigen Krieg so genannte Wüstungsvorgänge häufig, das Dörfer vollständig verlassen waren oder aufgegeben werden mussten. Ursachen für die Entstehung einer Wüstung sind meistens Kriege, wirtschaftliche Notlagen oder Epidemien, die zu einem starken Bevölkerungsrückgang führen.

Länger Phasen, in denen viele Siedlungen durch Bevölkerungsrückgang aufgegeben wurden, nennt man Wüstungsperioden. Im 14. und 15. Jahrhundert wurden unter anderem überdurchschnittlich viele Siedlungen aufgegeben. Die Ursachen dafür können sehr unterschiedlich sein. Einmal wütete die Pest, andernorts blühte in der nähe eine Stadt auf, so dass die Menschen ihr Dorf verließen. Manchmal waren aber auch veränderte Umwelteinflüsse Grund für den Wegzug, sei es durch regelmäßig auftretendende Hochwasser oder veränderte wirtschaftliche Nutzung des Landes.

Ein Grund im Verschwinden von Dörfern und Weilern liegt aber auch in der Entstehung von Siedlungen. Speziell im Alemannischen Kulturraum führte die Bevölkerungszunahme in der späten Merowingerzeit ab Mitte des 7. Jahrhundert n.Chr. zu einer ersten Ausdehnung der Besiedlung. In diesem "frühen Landesausbau" entstanden kleinere Hof- und Weilersiedlungen abseits der älteren Ortschaften mit "ingen" oder "heim" im Ortsnamen. Notgedrungen wurden diese neuen Siedlungen oft auf weniger günstigem Gelände gegründet, in feuchten Auenwäldern, in wasserarmer Hanglage oder in der Nähe von Überschwemmungsflächen der größeren Flüsse. Viele dieser Siedlungen mussten dann im Laufe der Zeit wieder aufgegeben werden. Neue Dörfer, die es verstanden, die neue Umgebung vor allem agrarisch sinnvoll zu nutzen und die möglichen Gefahren zu beherrschen, konnten sich auch in siedlungsfeindlichem Gebiet bis heute erhalten.

Viele Wüstungen wurden in den vergangen Jahrzehnten nur zufällig entdeckt, da sie von Wald oder Buschwerk überwachsen sind bzw. durch Erosion nicht mehr mit bloßem Auge zu erkennen waren. Oft kann man sie durch moderne Methoden aus der Luft oder mit Satelliten-Fotogrammetrie erkennbar machen, weil sie, wie auch antike Grundmauern, Farbanomalien im Boden oder beim Bewuchs verursachen. Oftmals zeugt aber auch einfach nur die urkundliche Erwähnungen eines Ortes von seiner Existenz, der dann ab einem gewissen Zeitpunkt nirgendwo mehr schriftlich genannt wurde. Dies ist dann ein Anzeichen für eine Wüstung in der beschriebenen Region. Manchmal erinnern sich dann noch die Dorfältesten an Geschichten, die man sich einst erzählte, wo in einem Wald oder Flurstück schreckliche Dinge passiert sind oder Geister ihr Unwesen treiben.

An der wissenschaftlichen Erforschung von Wüstungen beteiligen sich mittlerweile verschiedene wissenschaftliche Disziplinen und es werden unterschiedliche Methoden angewandt. Schwerpunkte bei der Untersuchung von Wüstungen bilden die Fachnereiche der Archäologie und Geografie, aber auch die Geisteswissenschaft. Die Geschichtswissenschaft, insbesondere die Mediävistik – die Wissenschaft vom europäischen Mittelalter - beschäftigt sich dabei vorrangig mit der Auswertung schriftlicher Quellen, wie Urkunden, Klosterbüchern und historischen Karten. Die anderen Wissenschaften widmen sich der Siedlungsarchäologie und die historische Geografie primär den näheren örtlichen Begebenheiten, die mit fachspezifischen Methoden untersucht werden. Hier werden die Luftbildarchäologie, die Durchführung und Auswertung von Bodenanalysen, geophysikalische Messung und weitere naturwissenschaftlicher Methoden, wie z.B. Phosphatkartierung, Pollenanalyse oder die Radiokarbonmethode durchgeführt.

In der Wissenschaft werden Wüstungen in einem so genannten Wüstungsschema gegliedert. Als Wegbereiter gilt hier der Geograf Kurt Scharlau (1906-1964). Er hat bereits in den 1930er Jahren ein terminologisches Schema entwickelt, das es möglich macht, verschiedene Arten von Wüstungen zu unterscheiden. Unterschieden wird unter anderem in Dorfwüstung, totale Wüstung, Flurwüstung, partielle Wüstung, permanente Wüstung oder temporäre Wüstung. Mit Dorfwürstung bezeichnet man völlig aufgegebene Dörfer und Siedlungen. Eine totale Wüstung liegt beispielsweise bei einem völlig verschwundenen Ort vor, wo es keine sichtbaren Mauerreste mehr gibt. Eine partielle Wüstung bezeichnet einen teilweise verödeten (entvölkerten), aber noch vorhandenen Ort. Bei Flurwüstungen werden primär die Äcker und Wiesen aufgegeben, der Ort selbst nicht. Bei einer temporären Wüstung wird der Ort nur zeitweise verlassen, es erfolgte aber im Gegensatz zur permanenten Wüstung irgendwann in der Geschichte des Ortes eine Wiederbesiedlung. Temporäre Wüstungen sind oft eine Folge von Seuchen oder lang andauernden Kriegen, wie der Dreißigjährige Krieg einer war.
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